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Sa., 13.11.2021 - 15:07

Gedenkkultur am GCE

Der jüdischen Mitschüler, die in den 1930er Jahren vom damaligen Humanistischen Gymnasium vertrieben wurden und die schließlich durch den Terror der Nationalsozialisten zu Tode kamen, gedachten mehrere Schulklassen in den Tagen um den 9. November.

Die Schülerinnen und Schüler versammelten sich während ihres Deutsch- oder Geschichtsunterrichts im Geschichtsflur der Schule und erinnerten vor den entsprechenden Abbildungen an die Geschehnisse von 1938, als in der Reichspogromnacht die Synagogen brannten oder demoliert wurden. Dauerhaft erinnert an die Opfer des Holocaust aus unserem Gymnasium eine Inschrift in einem Fenster dieses Flurs. Dort werden die Schülerinnen und Schüler namentlich genannt, die dem Rassenwahn zum Opfer fielen.

Indem die heutigen Schülerinnen und Schüler ihre Namen verlasen, machten sie deutlich, dass die Schicksale ihrer Vorgänger nicht vergessen sind und dass Erinnern auch für uns Heutige eine Pflicht ist. Entsprechend dem jüdischen Brauch, einen Stein aufs Grab zu legen, legten die GCEler und GCElerinnen Steine vor der Namensliste ab. Wenn man den jüdischen Schülerinnen und Schülern auch in barbarischen Tötungsfabriken Würde, Leben und Individualität nehmen wollte, so soll damit ein Zeichen gesetzt werden, dass jeder einzelne der Getöteten ein Mensch war, der mit Würde und Individualität ausgestattet gewesen ist. Die Verlesung der Namen und das Gedenken an die einstigen Schülerinnen und Schüler ist somit eine bewusste Absage an ideologischen Rassenwahn und Menschenverachtung. Zumindest mit dieser kleinen Geste soll den Opfern ihre geraubte Würde wieder gegeben werden. Gewalt und Verblendung sollen nicht das letzte Wort haben.

Zum Abschluss der kleinen Gedenkveranstaltungen trugen Schülerinnen und Schüler dann ein Gedicht der ehemaligen Schülerin und Exilantin Hilde Marx (1911-1986) vor, das an die Novembertage von 1938 erinnert:

 

10. November

Da ist kein Grab davor ich treten könnte,

das Haupt verhüllt, an diesem Trauertag.

Das ist kein Gott zu dem ich beten könnte –

Mir starb der Gott zu dessen Knien ich lag.

 

Da ist nur trübe Luft und spätes Leuchten.

Novemberdämmerung. Ein graues Meer.

Die armen Tränen, die die Wangen feuchten,

sind vom Gedenken in die Ferne schwer.

 

So krause Zeit verging. War das vor Stunden,

vor Jahren, als man euch zu Haufen trieb?

Als man zertreten euch, zerquält, zerschunden?

Als tausend Herzen man in Stücke hieb?

 

Als Frauen hilflos nach den Männern schrien

Und Kinder weinend irrten, ganz allein?

Nicht viele waren schnell genug zu fliehen.

Und wenn sie flohen, holte man sie ein.

 

Man sagte, dass sie euch das Leben nahmen.

Sie nahmen euch viel mehr: den eignen Tod.

Vergangen seid ihr in Gestalt und Namen.

Nur eure Geister brennen flammend rot

 

Und haben eine Erde hell entzündet

In die euch Mörderhände eingescharrt,

und haben übers Meer sich uns verbündet

und sind uns schmerzhaft nahe Gegenwart.

 

Ihr könnt nicht ruhn, solange die Kanonen

Euch Schlafgesänge brüllen, grell und heiß,

solang auf euren Leibern Menschen wohnen,

von denen einer nur noch schweigt, der weiß.

 

Wir wissen auch – und können nichts als schweigen.

Doch einst ein Tag gibt unsrer Stimme Klang

Und Stirnen, die wir heute trauernd neigen,

erheben wir dann frei. Und ein Gesang

 

noch nie gehört, wird Meere überfluten

und Eisen klingt darin und Erz und Stahl.

Und eine Welt, geschweißt aus letzten Gluten,

wird euer ewiges Gedächtnismal.

 

Hilde Marx